Highway 77: My „Mother Road“

Alle Verehrer erzählender Prosa und guter Reiseberichte kennen schon Artikel und Bücher von Wolfgang Büscher, und die vielen Auszeichnungen machen Rezensionen seiner Bücher fast überflüssig. Das 2011 veröffentlichte Buch Hartland: zu Fuß durch Amerika ist keine Ausnahme, und das Buch erfüllt alle Erwartungen, die mit dem Erfolg seiner frühere Werke begannen.
Wie in seinem früheren Werken fehlt seinem Schreiben der Jargon der Kulturwissenschaften, der oft in Reiseberichten den Inhalt verdeckt. Die Erlebnisse Büschers waren sicher nicht alle glücklich, und seine Erleichterung ist spürbar, wenn er sich von eineigen Orten und Leuten losreisst. Sonderbare Gestalten, die er im Buche meistens durch Gleichnisse darstellt, tauchen oft während seiner Reise auf, und der Autor erinnert den Leser daran, dass das Merkwürdige und das Ungeschickte häufiger vorkommen, als wir tagtäglich meinen. Wir verkennen vieles, was in unser Vorstellungsbild nicht hineinpasst, und übersehen Leute, die oft eine Mehrheit der Gesellschaft bilden. Ein Autor wie Büscher zeigt uns, wie sehr uns das Sonderbare einprägt.
Als Mensch begegnet Büscher seinen Mitmenschen und der Landschaft, und in seinem Schreiben betont er stets das Menschliche. Wenn der Leser den Buchdeckel schliesst, lässt der Mitreisende mit einer tiefen Kenntnis der Leute und ihre Umwelt. Büscher schafft mittels seiner Beschreibungen eine Umwelt, die noch breiter ist als die Landschaft, durch die er geht und fährt, denn er fügt den fast unendlich weiten Raum des Westens eine geschichtlichen Dimension hinzu. Prinz zu Wied, Knut Hamsun, Black Elk, Sitting Bull und Crazy Horse begleiten ihn auf der nördlichen Strecke der Reise, und als Leser treffen wir uns im Süden mit Ferdinand Coronado, Ronald Reagan, John Kennedy, David Koresh und Richard King. Die historische Figuren werden manchmal von den Leuten verkörpert, die Büscher unterwegs kennenlernt, aber öfters stehen die modernen Bewohner des Westens im Gegensatz zu den historischen Bildern.
Durch das Buch erfährt der Leser Näheres über ein Stück des Westens, aber wie schön wäre es, wenn wir seine erste Fassung sehen könnten, bevor er einige Teile wegen der Länge auslassen musste. Auf so einer langen Reise kann man nicht von allen Erlebnissen berichten, und man muss sich dafür entscheiden, welche in das Gesamtbild des Buchs einpassen. Ich gebe zu, dass als Texaner ich mehr über Texas hätte schreiben wollen, und ich noch einige Städte anders gesehen hätte. Büscher schreib, Waco ist mit Koresh und den Branch Davidians ewig verbunden, und weil ich in Waco einige Jahre lebte, sehe ich die Stadt ganz anders als Büscher. Waco hat wirklich eine schöne Seite, die nichts mit der Stätte der niedergebrannte Festung der Davidians zu tun hat, eigentlich ein Farm mit mehreren Gebäuden, die eigentlich weit ausserhalb der Stadt waren.
Besser gesagt, Waco ist Museums- und Universitätsstadt, und die Stadt hat eine Geschichte, die, wie mit allen Geschichten, gleichzeitig glücklich und traurig ist. Wenn ich an Waco denkte, als Schauplatz von Gewalt und Brutalität, denke ich zuerst an den 1916 begangenen Mord und die Verstümmelung von Jesse Washington, der vor tausenden von einem Mob öffentlich hingerichtet und verbrannt wurde, bevor sein Kadaver zehn Meilen hinter einem Wagen nach Robinson verschleppt wurde, eine Stadt, in der sein Kopf und Oberköper drei Wochen zur Schau gestellt wurde. Die Waco der Lynch-Morde existiert nicht mehr, und die Waco der Branch Davidians hat es überhaupt nie gegeben.
Ich las Hartland vor einem Jahr, aber ich konnte keine Rezension schreiben, die die Ausführlichkeit seines Buches traf. Ich muss zugeben, dass ich nicht ein wenig Neid spürte, als ich das Buch zum ersten Mal las. Ich hatte das Buch bestellt, weil in der Beschreibung stand, dass Highway 77 der Schauplatz seiner Reise war. Ich freute mich auf die Lieferung des Buchs, denn Highway 77 ist mein “Mother Road, eine Bezeichnung, die Route 66 verleiht wurde. Neben dieser Straße fing meine persönliche Geschichte an. Sommers arbeitete ich auf Farms und Ranches, die in der Nähe eines Städtchen lagen, das von Highway 77 durchkreuzt war. Ich kannte die Leute des Städtchen und das Städtchen selbst aus verschiedene Dimensionen–als Menschen, Raum und Geschichte, und wenn man einen Platz und dessen Bewohner durchaus so gut kennt, fühlt man sich stärker und bereit, die Kunst des Menschenkennens an einem anderen Ort zu betreiben. Von dem Platz der Bestärkung aus kann der Bestärkte reisen, neues entdecken, mit sich selbst konfrontiert werden und sogar scheitern, ohne besiegt zu werden. Unter der texanischen Sonne schwitzend, träumte ich von der Erhaltung meiner allgemeinen und formellen Bildung und vom Reisen in die weite Welt, eine Welt, deren Tor Highway 77 war.
Büscher hatte meine Reise unternommen, obwohl ich die Reise anders gemacht hätte. Ich lese gern seine Werke, weil wir unsere Mitmenschen ähnlich betrachten und schätzen. Das Schreiben Büschers ist offensichtlich meinem weit überlegen, und ich, kleiner Blogger, würde nie behaupten, ich könnte seinen Erfolg nahe kommen. Trotz des Umstands, dass ich als Nichtmuttersprachler versuche, auf Deutsch meine Welt zu beschreiben, halte ich die Werke Büschers für einen Vorbild und hohen Maßstab der Schreibkunst. Begleitet von Fehlern in Grammatik und Wortschatz erkundige ich noch die Welt, die in meinem Leben mit Highway 77 anfing, und vielleicht könnte ich eines Tages einige Teile von Hartland ergänzen, wenngleich es schon ein vollendetes, erfolgreiches Buch ist, das ich allen Amerikakennern höchstens empfehle.—Jason Fabianke
Wolfgang Bücher: „Hartland“ zu Fuß durch Amerika. Rowohlt Verlag, Berlin 2011. 300 S., geb., 19,95 [Euro].
Ich bestelle bei Global Books, portofrei in die USA ab 75 Euro: http://www.globalbooks.de