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Eine gemeinsame Kulturerbe: die Missionen und das Hill Country, Teil 2

Ich hatte nicht zu viel Zeit zu verweilen, und ich fuhr unter die Interstate und setzte meine Reise auf Highway 87 fort. Der kurvenreiche Weg führte über Flüsse und langsame Bäche, und Zedern und Eichen warfen Schattenstreifen auf das feine, hellgrüne Gras. Im Herbst zeigen die Blätter der Eichen und Kirschbäume jedes Jahr zunächst ihre Farben in den tieferen Schluchten zwischen den Hügeln, in denen sie dicht an einander wachsen. An einem Frühlingstag so wie heute sah ich die hellen Blüten und grünen Knospen an den Bäumen, die auf den steilen Seiten der Höhen stehen. Das ist eine Bestätigung, dass die Bäume das Frühlingswetter für andauernd hielten. Die Schluchten waren die Urquelle der Vielfalt der Baumarten, deren Schönheit ich sogar auf meinem ersten Hill-Country-Ausflug erkannt hatte.

In den Tagen der großen Präriebrände hatten die Bäume nur in tieferen Schluchten und in dichten Hainen überlebt, die normalerweise nur aus einer Baumart bestand. Die ersten Reisenden verglichen die kleinen Wälder mit grünen Inseln auf einem braunen Meer wellenden Gras. Das Gras wuchs damals höher als ein Pferd und Reiter, und manche unerfahrenen Reisenden verirrten sich tagelang oder begegneten Bände kriegerischer Indianer, die die Spuren eines Beutetieres verfolgten.

Damals waren riesige Herden amerikanischer Büffel oder Bison von Kanada bis Mexiko auf das Grasmeer hinauf und hinunter gewandert, bevor das Rindervieh und die Farms und Ranches die Landschaft änderten. Die Bisons bildeten in der Erdgeschichte die größte Konzentration einer Art Säugetier außer den modernen Menschenstädten. Ihre Wanderungen ähnelten einem bewegenden Schatten, der das Gras auffraß und zertrampelte, und der von einem Horizont bis zum anderen ausdehnte. Der Bison war die Quelle des Indianerlebens, und das Tier besorgten den Indianer Fleisch, Kleidung und, durch ihren Dung, Brennstoff fürs Lagerfeuer. Die Erde auf der Prärie war arm und der Regen knapp, aber der Dung und Harn der Büffel ernährten das Gras, dessen Wurzeln oft vier Meter tief indie Erde wuchsen. Eine dicke Scholle, die nach den Bränden unzähligen Jahrhunderte entstanden sind, ließ die Erde der Prärien täuschen und fruchtbar erscheinen, und nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, wollten Farmers und Ranchers das wilde Grasland verändern.

Die landwirtschaftlichen Ansätze des späten 19. Jahrhunderts hinderten die jährlichen Brände, die oft rasch und ohne Warnung durch Blitzschläge angezündet worden waren, und die in wenigen Tagen abertausend Quadratkilometer trockenes Gras verzehrten. Ohne die natürliche Erneuerung, die Saaten und Sprosse aller Pflanzen außer den schnell wachsenden Präriegrasen vernichteten, verbreiteten sich die Bäume auf die fruchtbare Erde der sanften Hügel aus. In der Hill-Country war die Erdschicht sehr dünn, und ohne den Schutz der dicken Graswurzeln setzte Abtragung rasch auf den Hügeln ein, so dass der weißen Kalkstein enthüllt wurde. Die Landschaftsbild hatte sich verändert, aber die Schönheit und Verlockung der Landschaft tragen die selbe Kraft als vor der Umwandlung vom Gras zu Bäumen.  Die Bäume vertiefen den tiefen Eindruck, die wohl alle Reisende empfinden.

Die erste Stadt, seitdem ich von der Eintönigkeit der Interstate abgebogen war, ist die deutsche Siedlung Fredericksburg. Die Vorfahren der Einwohner waren in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts durch die Vermittlung der in Galveston gegründeten Deutschen Einwanderungsgesellschaft und deren Vorstand Johann O. Meusebach eingewandert. Die ersten Jahren fielen die neuen Siedler schwer, denn das sogenannte Fisher-Miller Siedlungsgebiet gehörte zu dem Jagdrevier der Comanche. Die Indianer ehrten aber die Führung von Meusebach, und in 1846 gelang es ihm, einen Friedensvertrag zwischen den Deutschen und den Comanchen abzuschließen. Die Siedler harrten sich auf besseren Zeiten aus, und mit Mühe und Geduld erzeugten sie ein erfolgreiches aber isoliertes Landwirtschaftsgebiet, auf dem vorher nur ein halbtrockenes Jagdgebiet war.

Obwohl der Anteil der Birnbaums und Schmidts weitaus größer als die Gonzaleses und Smiths in Telefonbuch ist, sprechen ganz wenige Einwohner der Stadt noch zu Hause Deutsch, und die letzten deutschsprachigen Gottesdienste waren in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts eingestellt. Sie haben allerdings ihre Vergangenheit nicht vergessen, und sie haben gelernt, wie sie ihre deutsche Herkunft verwenden konnten, um die landwirtschaftlichen Einkommensquellen durch Tourismus zu ergänzen.

Die Siedler bauten die achtseitige Vereinskirche nach der Abschluß des Friedensvertrags, aber das Gebäude wurde in 1896 abgerissen. Die pragmatischen Einwohner sahen keinen Grund, dass die ökumenische Kirche noch stehen sollte, da die verschiedenen Sekten schon ihre eigenen Gemeinden gegründet hatten. Sie handelten sich genau so pragmatisch wie je zuvor, und ihr städtisches Handelsamt erkannt die Wichtigkeit des Fremdenverkehrs. Deswegen ließen die Einwohner vor dem 100. Jubiläumstag der Unabhängigkeit Texas eine Nachbildung der Kirche bauen, die heute als Touristeninformation dient.

In Fredericksburg verkauft sich alles Deutsches leicht. Die Reklame und zweisprachige Straßenschilder lassen manche Besucher an die Ausstattung eines Vergnügungspark denken, aber die Inhaber der Läden und Restaurants nehmen die deutsche Herkunft ernst. Manche können Deutsch noch, und sie würden die Gelegenheit schätzen, ein wenig über Deutschland und die Deutschen zu sprechen. Vor zwanzig Jahren produzierte Thomas Meinecke für den Bayrischen Rundfunk eine Hörspiel-Collage, die die Sprache und die Musik der Einwohner Fredericksburg und anderer kleinen Ortschaften präsentierten. Hinter der Fassade von Lederhosen und Rechtschreibungfehlern finden sie einen bestimmten, einfachen Stolz auf ihre Geschichte, obwohl sie die Vergangenheit oft kitschig und kaufmännisch statt kritischen betrachten.

Fredericksburg ist aber lebendig für eine texanische Kleinstadt. Käsekuchen, Schnitzel und Strudel sind immer im Angebot in den Restaurants, und jeden Tag scheint es die Biergartensaison oder Heurigen zu sein. Der amerikanische Besucher kann auch einen treffenden Trachtenanzug dazu kaufen, und der bayrische Gast, dessen Reisekoffer nicht angekommen war, könnte sich neue Kleidungstücke aus der neusten Trachtenmode in verschiedenen Läden aussuchen. Die Stadt bietet allen das kulturelle Leere und Fülle an.

Die große Menge Autos ließ keine einzige Parklücke entlang der Hauptstraße übrig, und Besucher und Einwohner gingen den Bürgersteig eilig hinauf und hinunter. Lange Wohnwagen hatten genügen Fahrraum auf der breiten Straße, aber die große Anzahl der Autos erschwerte das Fahren ohne Ende. Ich war der Meinung, dass ich den Tag in Ruhe und Einsamkeit besser hätte genießen können, als in einem ländlichen Stau steckenzubleiben. Die langen Reihen geparkter Autos und eifrige Einkäufer wirkten sich ermüdend auf mich aus, und ich erkannte allmählich, dass die meisten Autos und Leute ja in meine Richtung nach dem Nordwesten fahren würden, nachdem die Läden zumachten.

Ich musste nur zweimal in der Stadt an Ampeln stoppen, und erst dann konnte ich mich die Geschäfte und die Leute genauer ansehen, ohne mich davor fürchten zu müssen, dass es zu einer Karambolage käme. Ich fuhr weiter, und als ich das Verkehrsschild sah, das die Grenze des Gemeindekreises markierte, war ich zu meinem Erstaunen der einzige Fahrer auf der Straße. Jetzt war mir die Lage klar. Anstatt weiter von den breiten Fahrspuren und Raststätten der Interstate wegzufahren, waren viele der Besucher einfach nach der kleinen Stadt gefahren, und nach ihrem Einkaufen und Essen, fuhren sie die selbe Strecke zurück. Ich hielt das Fahren in die schon gereiste Richtung für unnötig, denn fast alle Städte wurden von mindestens zwei Straßen durchquert. Irgendeine Richtung könnte einen zu dem gewünschten Ort bringen.

Die Landstraße führte geradeaus, und nichts änderte sich im Landschaftsbild außer der Länge der Schatten, die sich jetzt nach Osten ausdehnten. Alte, leer stehende Bauernhäuser, deren Dächer mit verrostetem Wellenblech gedeckt waren, und braune noch benutze Steinkirchen waren die einzigen Zeugen, dass in dieser stillen Landschaft einmal ein dichtes Netzwerk kleiner Dörfer geblüht hatten. Siedlungen wie Cherry Springs besorgten den umliegenden Bauernhöfen Fertigwaren und Nachrichten, indem sie als Handelsplätze und Gemeindezentren dienten. Heute sah ich fast ausschliesslich Bäume und Gras, und ich konnte mich nur kaum vorstellen, dass Bauer jahrelang angeblich versucht hatte, sich auf diesem trockenen, steinigen Boden durch die Baumwollkultur zu ernähren.

—-Jason Fabianke

Fortsetzung folgt.

Eine gemeinsame Kulturerbe: die Missionen und das Hill Country, Teil 3

Mason war die nächste Stadt an Highway 87, und ist eine schöne Stadt, derer Gebäude des Hauptplatzes aus rotem und braunem Stein gebaut wurden. Mason County ist auch wegen Edelsteine bekannt, denn große Topas sind in verschiedenen Orten um Mason entdeckt worden. Das County-Gerichtsgebäude steht mitten auf dem Hauptplatz als Mittelpunkt der Stadt, und die Reihenfassaden verschiedener Geschäfte stehen an dem Platz an allen vier Seiten. Große, breite Pekannußbäume beschatten das Gerichtsgebäude und den gesamten Hauptplatzes, und bilden an heißen Sommertagen eine kühle Oase. Die texanische Verfassung legte die 254 Counties oder Verwaltungsbezirke des Bundesstaates fest, und die damit verbündeten Gerichts- und Polizeistrukturen versicherten, dass sogar Bürger und Bürgerinnen in den dünn besiedelten Bezirken ihre eigenen Regierungen wählen könnten.

Angesichts der Verfassung des Bundesstaats ist der Sheriff eines kleineren Bezirkes genauso ein gewählter Polizeileiter, wie die Sheriffs in den Großstädten Dallas und Houston. Der Sheriff und seine Deputies sind nicht die einzigen Streifenwagen, die in dem Hill Country zu sehen sind. Sogar Städte mit einer Bevölkerungsanzahl von 150 haben eine Polizeiverwaltung, obwohl sie nur aus zwei Polizisten und einem Polizeiauto besteht. Es ist wohl nicht die Kriminalstatistik, die die zusätzlichen Beamten benötigt, sondern die Geldbußen der Verkehrssünder bilden oft den Großteil des Budgets einer Kleinstadt. Bitte, halten Sie sich an das ausgestellten Tempolimit!

Nicht mal 3000 Leute wohnen in Mason, aber die Stadt sieht größer aus, als sie eigentlich ist. Viele Gebäude sind aus roten Feldsteinen gebaut, die rechteckig geschliffen worden waren. Brauner Granit formt die sanften Linien und den hohen Turm des Gerichtsgebäudes, aber die hellbraune Schichtung des Feldsteines ist der einzige erkennbare Unterschied zwischen den zwei Gesteinen. Ich weiß aus Erfahrung, dass keine zwei Städte überein sind, obgleich einige Gemeinden einen reicheren Segen bemerkenswerter Merkmale genießen als andere. Alle Geschichtsmerkmale und Eigenartigkeiten gelten mir als bemerkenswert, aber ich gebe zu, dass die meisten Menschen nur eine Stadt sehen würden, die vor fünfzig Jahren ihre besten Zeiten gesehen hatte.

Die Geschichte der Stadt Masons enthält in der Geschichte des Bankwesens eine wichtige Erstmaligkeit, die man nicht hätte erwarten können. Die Hedwig-Familie hatte ein kleines Stück Land vor dem Anfang des amerikanischen Bürgerkrieges in Mason geackert, und durch die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchsen ständig ihr Vermögen und Einfluss in dem County. Sie waren hierher gezogen, denn sie schätzten die Anwesenheit ihrer Landsleute und deren gemeinsame Sprache. Mason lag in dem selben Siedlungsgebiet als Fredericksburg, und die letzte Ruhestätte Meusebachs befindet sich in der Nähe in dem Treuental.

Der Mann Frau Hedwigs starb frühzeitig, aber sie hielt die Zügel der wirtschäftlichen Interessen der Familie fest in der Hand. Sie diversifizierte ihre Geschäfte, und in 1890 begründete sie die erste Bank, die in dem Besitz und unter der Verwaltung einer Frau war. Die Bank hatte großen Erfolg genossen, aber wie viele andere finanzielle Institutionen konnte sie die schwierige Lage der Bankkrise der dreißiger Jahre nicht überstehen. Das aus roten Brennziegeln gebaute Bankgebäude steht noch an der nordwestlichen Ecke des Hauptplatzes, aber ein neues Unternehmen war schon vor vielen Jahren in das Bankgebäude eingezogen. Die alte Hütte der Hedwig-Familie ist jetzt ein Sammlungsstück des Freilichtmuseums Texas Tech Museum Ranching Heritage Center in Lubbock, und Museumsgäste haben die Gelegenheit, das “dog run cabin” und andere historischen Bauwerke zu besichtigen.

Ich hatte noch viele Meilen vor mir. Die knappe Zeit ließ mir keine Gelegenheit zu verweilen, damit ich in Mason eine zweite Sehenswürdigkeit besuchen durfte, das alte Kino. Larry McMurty erzählte in seinem Roman The Last Picture Show das Schicksal einer texanischen Kleinstadt, derer einziges Kino geschlossen wurde. Mit der Einstellung des Lichtspielhauses schien die langsame Ablösung der Stadt fast gesichert zu sein. Das Kino in Mason hatte in den siebziger Jahren dichtgemacht, und das Gebäude stand eine lange Zeit leer. In der Nachbarstadt Fredericksburg hatte das Kino bis in den neunzigen Jahren Filme gezeigt, bis jemand das Gebäude kaufte. Jetzt steht ein Antiquariatsladen im Kinosaal, und die Bürger Masons wollten nicht, dass sie ihr Kino endgültig verlieren. Durch einer Spendeaktion kaufte ein ortsansässiger öffentlich-rechtlicher Verein das Gebäude. Freitags und samstags kann man aktuelle Filme ansehen, aber heute musste ich meine Reise fortsetzten.

In den USA gibt es heutzutage viele Versuche alte Gebäude vor dem Abriss zu retten, denn die alte Art der Stadtsanierung war, dass das Alte vor dem Neuen weichen muss. Nicht alle Rettungsaktionen sind erwünscht oder sehr hoch geschätzt, zumal viele Gebäude unangenehme Rufe haben, die manche Menschen an Rassentrennung und gesetzlich erlaubte Diskriminierung erinnern. In Kinos durften Schwarzen nur im Balkon oder sogar im zweiten Balkon sitzen, und Bürger mexikanischer Herkunft wurden oft den Eintritt verweigert. In Texas und anderen Bundesstaaten war Rassentrennung zwischen Schwarzen und Weißen vorgeschrieben, und Diskriminierung in allen Formen war erlaubt oder wurde mindestens geduldet. Einwohner in vielen Städten der USA fragen sich, warum sie sich für die Erhaltung eines Gebäudes engagieren sollten, das ihrer Meinung nach als Verkörperung der Ungleichheit gesehen werden soll.

Ich fuhr bei der Church of Christ vorbei, deren rotes Dach und die gleich gestrichenen Fensterrahmen ließen mich an den pragmatischen Baustil der alten Texaco-Tankstellen denken, die in den zwanzigen Jahren mit weiß verputzten Wänden, roten Bogenlampen und roter Dachreklame von Osten bis Westen in den USA gebaut worden waren. Statt Benzin bekommt dem Besucher seelischen Sprit, aber die Kirche ist nur eine unter anderen in dieser Kleinstadt.

Einige Gebäuden der alten Festung Fort Masons stehen noch innerhalb der Gemeindegrenze auf einer Höhe. Das Fort und die dort stationierten Soldaten waren der frühen europäischen Einwohner ein Trost, denn die Comanchen hielten nichts von den Fremden, die ihr Jagdgebiet zerstörten und die ihre alte Lebenweise unterbrachen. Bedauerlicherweise können Reisende auf dieser Strecke des Hill Country nichts von der Geschichte der Ureinwohner sehen, und keine Mahnmahle erklären die Gründe ihrer Abwesenheit.—-Jason Fabianke

Fortsetzung folgt.